Das RKW war schnell zur Stelle, als es darum ging, der DDR-Wirtschaft den Weg in die Marktwirtschaft zu ebnen. Keineswegs gab man sich Illusionen ob der Dimension der Aufgabe hin, sah auch die enormen Verwerfungen kommen, die es auf den Absatz- und Arbeitsm?rkten geben w?rde. Aber die einmalige Chance der Wiedervereinigung sei alle Anstrengungen wert, schrieb die Gesch?ftsf?hrung. Trotzdem durften der EG-Binnenmarkt, Osteuropa, Asien und die Innovationsf?higkeit des Mittelstands nicht aus dem Blick geraten.

Parallel reorganisierte der neue Vorsitzende Otmar Franz das Kuratorium, das seit rund einem Jahrzehnt nicht mehr aktiv war. Es versammelt bis heute hochrangige Pers?nlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Unternehmen und befasste sich als Beratungsgremium f?r das RKW auf seiner j?hrlichen Sitzung mit unterschiedlichen Aspekten der Produktivit?tssteigerung des Mittelstands, in den 1990er Jahren vor allem mit den Folgen des Endes der europ?ischen Teilung.

Produktivit?t zwischen Ostsee und Erzgebirge

F?r das RKW gab es Ankn?pfungspunkte, um schnell bei der wirtschaftlichen Gesundung helfen zu k?nnen. Einige RKW-Mitglieder hatten enge Gesch?ftsbeziehungen in die DDR. Diese Kontakte waren hilfreich, als es nach dem Fall der Mauer darum ging, die ostdeutsche und die osteurop?ische Wirtschaft in die Marktwirtschaft zu integrieren. Dazu kam als Gl?cksfall, dass der RKW-Gesch?ftsf?hrer Hubert Borns pers?nlich und famili?r enge Verbindungen in die DDR hatte und sich in den ersten Monaten sehr stark engagierte, so dass schon am 27. Februar 1990 ein RKW-Vorl?ufer-Verein in Magdeburg gegr?ndet werden konnte. Im Juli er?ffnete das RKW Gesch?ftsstellen in Dresden, Erfurt, Magdeburg, Potsdam und Rostock. 1991 entstanden in allen neuen L?ndern RKW-Landesgruppen, die erste im Sachsen.

Sehr schnell wurde ein vom RKW beantragtes Beratungsprogramm genehmigt, um privatisierten oder neu gegr?ndeten Unternehmen zu helfen. ?bernahmen anfangs westdeutsche RKW-Landesgruppen Patenschaften f?r die neuen L?nder und f?hrten die Beratungen durch, wurden schnell zus?tzliche Berater aus den neuen Bundesl?ndern geschult. Die Absatzm?glichkeiten f?r Ost-Produkte standen im Zentrum eines weiteren Projekts zum Produktmarketing und Qualit?tsmanagement. Zur Verbesserung der oft gesundheitsgef?hrdenden Arbeitsbedingungen in den Betrieben beteiligte sich das RKW an Projekten, die das n?tige Wissen zur Arbeits- und Gesundheitsschutz vermittelten und daf?r warben. Andere Themen wie Unternehmensf?hrung, Finanz- und Rechnungswesen, betriebliche Personalpolitik oder der EG-Binnenmarkt wurde speziell f?r die neuen Bundesl?nder aufbereitet.

Mittler zwischen Ost und West

Seit den Ostvertr?gen der 1970er Jahre hatte sich der Handel mit den Ostblockstaaten intensiviert. Das RKW unterst?tzte bei der Verlagerung von Teilen der Produktion nach Osten zur Kosteneinsparung und f?rderte das Engagement zur Sicherung eines im Westen akzeptierten Qualit?tsniveaus. ?ber die internationalen Organisationen CECIOS und EANPC bestanden traditionell Kontakte in den Osten, beispielsweise zu Organisationen in der Tschechoslowakei und in Ungarn. Die neue Fachabteilung Internationale Beziehungen widmete sich der Transformation der Volkswirtschaften ehemaliger Comecon-Staaten. Sie half  Unternehmenskooperationen anzubahnen, beispielsweise in grenznahen Wirtschaftsr?umen zu Polen oder Tschechien, schulte Berater und Multiplikatoren und bot Weiterbildungen an. Zeitweilig unterhielt das RKW Bayern eine Gesch?ftsstelle in Budapest. ?hnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg sollten Manager in Studienaufenthalten westliche Innovations- und Managementmethoden kennen lernen, beispielsweise wickelte das RKW f?r die Weltbank und die Gesellschaft f?r Internationale Zusammenarbeit GIZ GmbH  solche Studienprogramm mit Kasachstan und Moldawien ab.

Das ?Graviationszentrum des ?konomischen Handelns? sah das RKW im Gesch?ftsbericht 1993 aber noch weiter im Osten, vor allem in Japan und China. Man sei bem?ht, die Entwicklungen in dieser Region zu erfassen, um sie der Wirtschaft zug?nglich zu machen und sei behilflich dabei, auf dem ?gro?en pazifischen Markt mittel- und langfristig Fu? zu fassen?.

Neue Technologien und ein ge?nderter Rationalisierungsbegriff

Der technologische Wandel nahm weiter Fahrt auf. CNC-Steuerungen und CAD/CAM, die in einem RKW-Bericht mit dem ?hohen C? der Oper verglichen wurden, Roboter- und Sensortechnik, Gen- und Biotechnologie, Verbundwerkstoffe, Recyclingverfahren, Telekommunikation und Mikroelektronik waren Themen, die das RKW vor allem in Hinblick auf die Auswirkungen auf die Besch?ftigten untersuchte. Denn diese Neuen Technologien zeichneten sich dadurch aus, dass sie Einsparungen an Material, Energie, Arbeit und Kapital erm?glichten. Rationalisierung bekam wieder den Beigeschmack des ?Wegrationalisierens?, der schon in den 1920er Jahren f?r ein schlechtes Image gesorgt hatte. Das RKW reagierte darauf.

Im Programm f?r die erste H?lfte der 90er Jahre hie? es: ?Der Rationalisierungsbegriff und die Rationalisierungsmuster haben sich ge?ndert.? Rationalisieren definierte das RKW jetzt als

Vern?nftige Gestaltung der marktorientierten Leistungsprozesse bei gleichzeitiger Produktivit?tssteigerung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und schonendem Umgang mit der Natur.

Weiter hie? es: Die Rahmenbedingungen h?tten sich ver?ndert, die tayloristische Rationalisierung werde ?zunehmend ?berlagert durch Rationalisierungsformen, die gekennzeichnet sind durch kommunikations- und informationstechnische Vernetzung von Abl?ufen, Abflachung der Hierarchien und Schaffung von relativ selbst?ndigen Organisationseinheiten.? Der Schwerpunkt m?sse sich angesichts dieser Entwicklung, knapper Ressourcen und einer turbulenten Umwelt zum strategischen Management verschieben.

Toyota statt Ford

Besichtigen lie? sich ein entsprechendes System in Japan. Waren die Urv?ter des RKW zur Highland Park Ford Plant in Detroit gepilgert, reisten RKWler, Gewerkschaften und Unternehmer in den 1990er Jahren zu Toyota. Elemente des Toyota-Systems wie Vermeiden von Verschwendung, Flie?prinzip und Standardisierung der Prozesse hatte das RKW stets betont. Entscheidend war aber der Perspektivenwechsel von einer Produktion nach Prognosen, und damit eventuell auf Lager, hin zu einer vom Kundenauftrag getriebenen Produktion mit k?rzeren Durchlaufzeiten. Die genaue Planung, die das RKW ?ber Jahre propagiert hatte, barg jetzt die Gefahr, nicht schnell genug auf Ver?nderungen reagieren zu k?nnen. Schon 1983 hatte es selbstkritische Kommentare zum Thema Planung gegeben: ?Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum und aus Irrt?mern lernt man bekanntlich.?

Statt von der Produktionstechnik auszugehen, stand nun die Gesamtleistung f?r den Kunden im Fokus. Re-Engineering, Lean Management, Total Quality waren die Schlagworte der Betriebswirtschaft und -technik in diesem Jahrzehnt. Null-Fehler-Programme bezogen die Besch?ftigten mit ein, deren Qualifikation nun in den Blick geriet. Hatte die traditionelle tayloristische Massenproduktion Kosten nicht zuletzt dadurch reduziert, dass An- und Ungelernte besch?ftigt wurden, verlangten die neuen Technologien und Abl?ufe in der Produktion nach Fachkr?ften. Eine RKW-Studie belegte beispielsweise, dass bei der Bedienung von CNC-Maschinen zur H?lfte Fachkr?fte eingesetzt w?rden, m?ssten die Maschinen in der Werkstatt programmiert werden, seien sogar in 78 Prozent der F?lle Fachkr?fte im Einsatz.

In Deutschland gerieten die Automobilzulieferer  angesichts der neuen Produktionsmethoden stark unter Druck. Das RKW untersuchte die neuen Anforderungen und etablierte mit MOBIL zuerst in Hessen eine Initiative zur Unterst?tzung der mittelst?ndischen Zulieferer, andere Bundesl?nder folgten. Bis heute sind Automobilzulieferer ein wichtiges Thema f?r die RKW-Landesorganisationen.

Fachkr?ftepotenziale: ?ltere Besch?ftigte und Frauen

?ltere Besch?ftigte und eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung waren keine neuen Themen f?r das RKW, aber in den 1990er Jahren r?ckten sie nicht zuletzt wegen der starken Ver?nderungen in der Produktion und dem Einzug der EDV massiv nach vorne. Der 1995 gegr?ndete Hessische Arbeitskreis Personalpflege, Gesundheit im Betrieb widmete sich auch dieser Zielgruppe.

Den ?lteren wurde genauso wie den Frauen pauschal unterstellt, sie k?men mit den Anforderungen durch die Informations- und Kommunikationstechnologie nicht zurecht. Eine RKW-Untersuchung konnte nachweisen, dass dies f?r Frauen in B?rot?tigkeiten nicht zutraf. Im Gegenteil: Sie w?rden von sich aus Weiterbildung anstreben und diese sogar selbst organisieren. Beklagt wurde auch vom RKW, dass Frauen in F?hrungspositionen nach wie vor selten seien. 1994 gab es immerhin erstmals eine Frau unter den F?hrungskr?ften des RKW: Bettina Ardelt als Gesch?ftsf?hrerin des RKW Hessen.

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